Ein Börsianer am Rand des Irrsinns
Hochaktuell: Albert Ostermaiers Theaterstück «Erreger» im Z-Bau
Albert Ostermaiers Stück «Erreger» hat die freie Gruppe «Das Theaterprojekt» im Z-Bau vorgestellt. Die Inszenierung ist von hoher Aktualität.
Das richtige Stück zur richtigen Zeit: Passend zu den Turbulenzen an den Finanzmärkten beleuchtet «Erreger» die Persönlichkeit eines namenlosen Traders, der sich an der Schwelle zum Irrsinn befindet. «Das Stück war bereits im Mai geplant. Dass es nun so hervorragend passt, war nicht vorhersehbar», sagt Nikolaus Struck, der Darsteller des Ein-Personen-Stücks.
Struck erkennt man zunächst kaum wieder: Glatt rasiert, mit Hornbrille und streng zurückgekämmten Haaren. Als Börsianer, der von einem ungenannten Virus befallen ist und sich nun in einer Quarantäne befindet, liefert er eine beeindruckend intensive Leistung. Die Figur ist mit einem Seil an einer Empore festgebunden, was die Gefangenschaft innerhalb der wahnwitzigen Regeln der Finanzmärkte treffend symbolisiert.
Zunächst trägt der Held selbstbewusst Coaching-Phrasen vor. Doch das anfangs eloquent wirkende Auftreten wird immer wieder von Anfällen elementarer Selbstzweifel gebrochen. Zerfressen von den Demütigungen seiner Kindheit ist der Gefangene besessen von der Gier nach Erfolg. Schnell zeigt sich, dass hinter der Maske des coolen Börsenprofis eine zutiefst zerrüttete Persönlichkeit steckt.
Emotionale Vereisung
Die irrsinnigen Mechanismen der Finanzwelt haben sich längst auf sein Privatleben übertragen, führen ihn schleichend in die völlige emotionale Vereisung. Quintessenz: DieWelt der Börse und Finanzspekulation ist eine Welt des nackten Wahnsinns. Eine These, die vor ein paar Wochen noch vielerorts gewagt gewirkt hätte, mittlerweile aber deutlich an Plausibilität gewonnen hat.
Die Inszenierung von Frizz Lechner setzt auf Reduktion. Das Bühnenbild besteht lediglich aus einer Matratze und einem Stuhl, die Requisiten beschränken sich auf einen Teddybär und einen gelben Sack. Die nach «Der Nudelfresser» zweite Zusammenarbeit zwischen dem sonst auf Kindertheater («Rootslöffel») spezialisierten Frizz Lechner und dem freien Theaterkünstler Nikolaus Struck erweist sich als unbedingt sehenswert.
(Nürnberger Nachrichten vom 28.11. 2008)
Vom Wahn immer gewinnen zu müssen
Nachdem der Zuschauer den Theaterraum betreten hat, wird er in ein unangenehm fahles blaues Lichtgetaucht, so dass er seinen Sitzplatz nicht ohne Mühen findet. Auf der Bühne liegt ein Teddy auf einem Stofftuch, auf dem Boden kauert ein Mann, der in dem düsteren Raum eingesperrt ist wie in einer Gefängniszelle. Angebunden ist der Mann an ein Band, das ihn immer wieder zurückzieht, sobald er versucht, sich aus dessen Radius zu entfernen. Unter der Regie von Frizz Lechner spielte Nikolaus Struck vom Theaterprojekt Nürnberg im Rahmen der "Wasserburger Theatertage" im Wasserburger Theater Belacqua in dem Stück "Erreger" von Albert Ostermaier einen Börsenmakler, der in einem beklemmenden Monolog sein kaputtes Leben Revue passieren lässt.
Kaputt gemacht hat den Trader die Gier nach Geld, der Wahn, immer Gewinner sein zu müssen und an der Börse alles kontrollieren zu können. Mit seinem visuellen Gedächtnis kann der Trader zwar mit Kursen spielen wie andere Schach. Doch das nervtötende Vokabular der Börsenwelt mit all den sinnentleerten Phrasen vom Erfolg, die der Trader wie besessen herunterspult, klingt angesichts seines zerrütteten seelischen Zustands wie Hohn. Sein zuckendes Gesicht, die unkontrollierten, eruptiven Wortschwälle, der Schrei nach Geborgenheit zeigten einen völlig vereinsamten Menschen an der Grenze zum Wahnsinn.
Der Zuschauer blickt in ein leeres Leben voller seelischer Abgründe. Von seiner Mutter und den Mitschülern gedemütigt, war der Trader immer Einzelkämpfer, für den Disziplin das Erfolgsgeheimnis bedeutete. Von quälenden Hustenanfällen geschüttelt, mal leise flüsternd, dann wieder verzweifelt seine Not aus sich herausschreiend, glaubt der Trader, alles, was er berühre, wird zu Gold, muss aber zugleich erkennen: "Die Börse ist die pure Todessehnsucht." Frau und Kind, deren gewaltsames Ende angedeutet wird, haben sich ihm längst entfremdet. Hilflos nimmt der Trader schließlich den Teddybär in den Arm, ein Symbol für Liebe und Zuwendung, nach der er sich jetzt so sehnt.
Brillant verkörperte Nikolaus Struck den privat und beruflich gescheiterten Börsenhändler. Struck gelang es glaubhaft, einen schizophrenen Menschen darzustellen, dem die innere Mitte verloren gegangen ist. Die ätzende Häme, mit der der Trader etwa die ihn behandelnden Psychiater imitiert, erzeugte beim Zuschauer Gänsehaut. Ostermaiers Stück, das angesichts der so genannten Finanzkrise zusätzlich an Aktualität gewonnen hat, ist eine erbarmungslose Abrechnung mit der Gier nach dem Geld, die den Menschen zerstört.
(OVB vom 27.04. 2010 / Wasserburger Theatertage)