Aus dem Leben eines Rechtlosen
Es gibt Stücke, die werden mit zunehmendem Alter immer aktueller. Das kann an weiser
Autorenvoraussicht liegen, an Zufällen oder am Weltgeschehen. Als Robert Schneiders
dramatischer Monolog «Dreck» 1993 uraufgeführt wurde, kam das Thema Rassismus auf
eine bis dato völlig neuartige Weise auf die Theaterbretter. Erst recht heute legt «Dreck»
den Finger in eine eitrige Wunde. Denn die Welt befindet sich seit dem 11. September 2001
im Abwehrkampf gegen Terroristen, das Christentum fürchtet den Islam, Moslems sehen
sich unter Pauschalverdacht gestellt, Extremisten zu sein.
Schneiders Figur heißt auch noch Sad, fast wie Saddam, und er stammt ausgerechnet aus
dem Irak. Wahrlich Grund genug, das Stück als Statement für ein friedliches
Zusammenleben der Kulturen auf die Bühne zu bringen. Das Nürnberger «Theaterprojekt»
machte sich in der Kofferfabrik an diese Aufgabe und setzte noch eins drauf: Die Hauptrolle
spielt Irfan Taufik, ein irakischer Kurde, der einen früheren Auftritt einmal fast im
Bombenhagel beendete.
Selbsthass und Ironie
Sein Sad ist ein Rosenverkäufer in irgendeiner großen westlichen Stadt. Ein Illegaler. Täglich muss er gegen Ausländerfeindlichkeit und Vorurteile ankämpfen. Doch das scheint
aussichtslos zu sein. So verzweifelt und machtlos ist er, dass er allen Stolz und seine
Selbstachtung verloren hat. Nun übernimmt Sad die Stereotypen, er sei dreckig und nutzlos,
und wendet sie gegen sich selbst. In der endlosen Litanei des Mannes schlägt der
Selbsthass Kapriolen. Er hat die Normen der Gesellschaft, in der er gelandet ist, total
verinnerlicht. Trotzdem blitzen hin und wieder Ironie und sein wahrer Charakter durch.
Das Schwärmen von Sauberkeit und Ordnung ist grotesk. Während er sich selbst für
abstoßend hält, rechtfertigt er üble Hetze gegen Fremde. Die Rede wird immer emotionaler,
bis er vor seelischem Schmerz schreit. «Ich habe kein Recht . . .» sagt Sad immer wieder.
Was gibt es in einem Rechtsstaat Schlimmeres, als keine Rechte zu besitzen?
Schneider hat Sads Auslassungen als ein rhythmisches Kreisen um die immergleichen,
sprachlich nur gering variierten Themen gestaltet. Taufik holt selbst feinste Nuancen heraus,
wird mal ausfallend, mal depressiv, mal geheimnisvoll mit einem unerklärlichen Glitzern in
den Augen. Seine Stimme bildet alle Gefühlslagen ab, sie hofft und verzweifelt, erschreckt
das Publikum und schmeichelt, rüttelt auf, zieht in ihren Bann. Die reduzierte Mimik deutet
subtil die inneren Kämpfe an. Das Bühnenbild: ein Eimer und ein Rosenstrauß, mit denen
Taufik vor schwarzem Hintergrund ein ganzes Milieu darstellt.
Regisseur Nikolaus Struck hat darauf verzichtet, aktuelle Zusammenhänge zum
grassierenden Rassismus allzu deutlich zu machen. Er hat auf den Text vertraut und gut
daran getan. Die Assoziationen stellen sich unvermeidlich von selbst ein – ob einem Thilo
Sarrazins Entgleisungen einfallen oder Stammtischparolen aus dem Wirtshaus. Ein wichtiger Theaterabend, der Stellung bezieht.
(Fürther Nachrichten / 20.10.2009 / ap)
Bitterböser Zerrspiegel
Nikolaus Strucks eindringliche Inszenierung von Robert Schneiders dramatischem
Monolog Dreck feierte beim Theate Rootslöffel seine Nürnberg-Premiere.
Es ist ein Phänomen: Wenn einem Leute erzählen, dass sie zum Beispiel einen
mongolischen Großvater oder eine indianische Großmutter haben, scheint sich irgendetwas zu verändern. Es passiert mit ihren Augen: Die Pupillen werden größer und dunkler, entfernen sich. Nichts als eine psychologische Reaktion des Zuhörers vermutlich, die nichts mit demjenigen zu tun hat, der seine Herkunft erläutert.
Trotzdem kann ein guter Schauspieler diesen Effekt nutzen, wenn er Fremdheit darstellen will. Und genau das tut Irfan Taufik in Robert Schneiders dramatischem Monolog „Dreck“ virtuos. Es geht um den irakischen Rosenverkäufer Sad, der illegal in irgendeiner westlichen Stadt lebt und jede Nacht durch die Lokale zieht. Zuerst spricht er über seine große Liebe zur deutschen Sprache, dann über die fantastische Sauberkeit und dass er nie eines der glänzenden Schaufenster berühren würde.
Jede Selbstachtung verloren
Schließlich landet Sad dabei, dass die weiße Hautfarbe der Einheimischen viel besser sei als sein dunkler Teint, dass schon sein flacher Hinterkopf ihn als minderwertig kennzeichne. Der Araber erklärt sich selbst zu einem Stück Dreck, betont ständig, dass er den Leuten die Luft wegatme und alles verschmutze. Er hat sämtliche bösen Vorurteile aus der rechten Ecke dermaßen verinnerlicht, dass er sie gegen sich selbst wendet und schließlich sogar das Publikum dazu auffordert, sich gegen die Ausländer zu wehren. Er hat jede Selbstachtung verloren. Ein Stück wie ein bitterböser Zerrspiegel.
Irfan Taufik, selbst irakischer Kurde, setzt ganz auf den Augen-Effekt. Seine Pupillen weiten und verdunkeln sich, blitzen, dass es den ganzen Raum ergreift. Obendrein bringt er gar etwas Lässiges in Nikolaus Strucks puristische, dem Text vertrauende Inszenierung hinein: Als er einen tumben Stammtisch-Phrasendrescher mimt, stützt er schräg die Arme in die Seiten und erinnert an Charlie Chaplin im «Großen Diktator». Wie er sich durch das sparsame Bühnenbild aus Eimern und Rosen kämpft, verzweifelt um immer die gleichen Themen kreist und keinen Ausweg findet, ist große Klasse.
(Nürnberger Nachrichten / 15.02.2010 / Anne Peters)
Verheddert in der moralischen Falle
Der will nichts verkaufen, der will nur spielen: Auch wenn Sad die Rosen auf dem Arm quellen, das Stück zu drei Euro - der junge Mann, der in Jacket, weißem Hemd und Tasche als BWL-Student durchgehen könnte, verteilt statt Blumen Vorurteile und Denkanstöße.
Im Theater Rootslöffel, wo das Nürnberger „Theaterprojekt“ mit „Dreck“ gastiert und Angehörige der Generation 50 plus ihre Beine unter Zwergenbänke verstauen, gibt's also Provokation und Aufklärung satt. Robert Schneider, einst mit „Schlafes Bruder“ im Bestseller-Taumel, lotet in seinem effektvollen Bühnenmonolog den Kontrast aus zwischen Sads Empfindsamkeit und seiner Resignation vor Hass und Gewalt. Sad liebt Deutschland, die Sprache, seine Stadt. Und er hat sich die Vorurteile der anderen längst angeeignet: „Lügen ist Mentalitätssache bei uns.“
Hat er wirklich? Irfan Taufik wiederholt sie mit einem freundlichen, zurückhaltenden Lächeln, bleibt als Sad überwiegend leise, freundlich. Weil er seine eigenen Positionen ständig hinterfragen muss, zappelt der Zuschauer schnell in der moralischen Falle. „Wir werden niemals miteinander in Frieden leben“ - meint Sad das ernst? Ist das noch deutscher Stammtisch oder schon Alqaida-jargon? Nur die Holzhammer-Karikatur eines Ausländerfeindes gegen Ende bringt diese Verstörungsbalance aus dem Gleichgewicht.
(GK / Abendzeitung Nürnberg vom 16.02.10)