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Bruder Eichmann 2005
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Bruder Eichmann 2010

 

 

 

 

 


                Charakterstudie eines Schreibtischtäters

„Bruder Eichmann“ im Z-Bau


Das Rattern eines Zuges klingt im Theatersaal des Z-Bau lange nach. Dann erhellt sich die Bühne: Ein hochaufgeschossener Mann wäscht sich mit eleganten, energischen Bewegungen die Hände, bevor er sich an den Tisch setzt, um seine Geschichte zu erzählen: Stefan Carstens spielt  Adolf Eichmann, den Mann, der mit beamtischer Genauigkeit den Genozid von sechs Millionen europäischen Juden organisierte. Eichmann, der Schreibtischtäter par excellence, erklärt sich mal hilflos, mal selbstbewusst. Er habe immer nach einer politischen Lösung gestrebt, habe niemals den Massenmord gewollt. Und schließlich: Er sei nie Antisemit gewesen.


1961 begann in Israel der Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann. Die Protokolle, die während der Verhöre angefertigt wurden, dienen dem Dokumentarstück „Bruder Eichmann“ als Grundlage. Dem Prinzip der Collage folgend entwirft der Dramatiker Heinar Kipphardt (1922—1982) analoge Szenen, die die Alltäglichkeit der Entscheidung für Menschlichkeit und gegen den Kadavergehorsam bewusst machen sollen. „Das Theaterprojekt“ aus Nürnberg setzt diese Szenen in Videosequenzen um: Ein US-Pilot (Hannes Seebauer) berichtet vom Angriff auf Vietnam, auf dem Amt demütigt die Angestellte einen Asylbewerber, ein Präsident (Jochen Kuhl) rechtfertigt Sanktionen gegen Terroristen.

 

Das Theaterprojekt hat mit Stefan Carstens als Eichmann eine ausgezeichnete Besetzung gefunden. Er verleiht der Banalität des Bösen ein Gesicht und der Figur viele Facetten. Leider können seine Mitspieler dieses Niveau nicht halten. Einzig Ulrike Gradl gelingen als Gattin Vera einige intensive Momente. Dennoch: Nikolaus Struck hat eine interessante Inszenierung auf die Beine gestellt, die allein schon des Themas wegen eine größere Besucherschar verdient hat.

 

(Nürnberger Nachrichten vom 26.11.2005 / Susanne Ziegler)

 

 

                Wo der Befehlsempfänger zum Handtuch greift

Nikolaus Strucks Inszenierung des Doku-Theaterstücks »Bruder Eichmann«

im Z-BAU


“Der Befehl wird nicht in Frage gestellt”, sagt er, und: “Für die Allermeisten hat der
Befehl etwas sehr Entspannendes.” Nicht zuletzt die Schlüsselsätze in Heinar
Kipphardts 1983 uraufgeführtem Doku-Theaterstück “Bruder Eichmann” sind es, die
dieses Werk; 60 Jahre nach Beginn der Nürnberger Prozesse, brandaktuell machen.
Wenn Stefan Carstens als Adolf Eichmann bei der Premiere von Nikolaus Strucks
Inszenierung im Z- Bau diese Sätze bestimmt und überzeugt mit soldatischem Befehlsempfängerernst spricht, ist die Figur des Organisators der Konzentrationslager
transporte im Kern skizziert.


Die unbedingt sehenswerte Leistung Stefan Carstens besteht nun in der leisen und
minutiösen, sich auf die mimischen und gestischen Sprechcodes konzentrierende
Ausformulierung dieses Befehlsempfänger- Psychogramms. Mit ruhigen, langsamen
und disziplinierten Bewegungen spielt Carstens Adolf Eichmann in der
Gefängniszelle etwa immer wieder beim Händewaschen, ja beim Reinwaschen der
Hände: Wie er mit eigenartiger Sorgfalt und Gründlichkeit immer gleich lang seine
Hände wäscht und mit routinierter, pedantischer Akribie das Handtuch an den
Handtuchhalter hängt. Weil die schauspielerische Disziplin Stefan Carstens die
Möglichkeit der Distanz zur mörderischen Disziplin des Soldaten Eichmann nach
und nach eröffnet, wird man als Zuschauer in die Lage versetzt, dieses Drama ohne
"laute" dramatische Höhepunkte erst zu sehen. Dabei wird der gefühlsgepanzerte
Charakter von “Bruder Eichmann”, gerne als didaktisches Stück missverstanden,
bemerkenswert präzise dargestellt. Lässt man sich auf Nikolaus Strucks Slow-
Motion-Inszenierung ein, wird man bald sensibel und aufmerksam für die noch nicht
von Selbstbeherrschungswut getilgten Spuren von Eichmanns Gefühlsausdruck.
Dass nicht geweint wird, war für Eichmann Imperativ von Kindesbeinen an - und
dieses Verstecken-Müssen der eigenen Emotionalität und die Folgen konstituieren
diesen Adolf Eichmann. Eine gelungene Neuinszenierung eines vermeintlich
klassischen Stücks der Gegenwarts- Dramatik.

 

(AZ vom 23.11.2005)

 

 

               Schwierige Rolle bravourös gemeistert

Gelungene Neuinszenierung von „Bruder Eichmann“


„Bruder Eichmann“ von Heinar Kipphardt ist ein unbequemes Stück geblieben. Ein Stück
(Uraufführung 1982), das bohrende Fragen stellt, die beinah zeitlos anmuten, obwohl sie
ganz konkret in Geschichte und Gegenwart verankert sind. Regisseur Nikolaus Struck und
seinem „Theaterprojekt“ gebührt das Verdienst, das selten gespielte Werk nicht nur im Z-Bau
neu auf die Bühne gebracht, sondern seine Aktualität auch neu und im Ganzen plausibel
akzentuiert zu haben.


Das ist vor allem den komplett neu geschriebenen und, wie auch die eigentliche, dem
Eichmann-Prozess in Israel entlehnte Handlung, dokumentarischen „Analogieszenen“ zu
verdanken. Mit ihnen wollte Heinar Kipphard belegen, dass die Haltung des Protagonisten,
der im Dritten Reich als „Rädchen im Getriebe“ die Transporte der Juden in die
Vernichtungslager organisierte, in der Gegenwart weiter besteht, ja „die gewöhnliche Haltung
in unserer Welt“ geworden ist.


In filmischen Einblendungen sind nun unter anderem ein texanischer Henker zu sehen
(Günther Michael Erhardt), der, bequem zurückgelehnt, über die „gerechteste und humanste“
Tötungstechnik schwadroniert, eine Angestellte im Ausländeramt (brillant: Erika Peßler), die
mit ihrer Paragraphenreiterei einen Asylberwerber schikaniert, oder ein bekannter
Schriftsteller (Erich Ude), der sich nur auf sein Gewissen als letzte Instanz beruft, sich „kein
schlechtes Gewissen einreden“ lassen und „endlich normaler Bürger in einem normalen
Staat“ sein will.


Doch schon das Bühnengeschehen selbst (das angemessen karge Bühnenbild mit angedeuteter Kerkerzelle und Verhörtisch stammt von Manfred Schaller) stimmt nachdenklich genug. Das ist vor allem Stefan Carstens in der Rolle des Adolf Eichmann zu verdanken: Die schwierige Gratwanderung, Eichmann dem Zuschauer verständlich zu machen, ohne doch seine Monströsität zu kaschieren, gelingt ihm bravourös. Sein Eichmann ist steif und korrekt, bei den Verhören devot, dabei gelegentlich fast schon rührend in seiner fehlgeleiteten und
letztlich doch fürchterlichen und unmenschlichen Gewissenhaftigkeit. Unter den wenigen
weiteren Protagonisten ist Ofer, der Gefängnisdirektor (Markus Nondorf), insofern eine
interessante Figur, als er in seinem obrigkeitshörigen Pflichtbewusstsein der „Eichmann-
Haltung“ unvermutet gar nicht so fern erscheint.


Straffung hätte gut getan


Etwas platt erscheint allerdings die schon zu oft bemühte Symbolik des Händewaschens am
Anfang und Ende des Stücks. Und zum Ende der zwei Stunden (ohne Pause) hin hätte das
Schauspiel eine weitere Straffung vertragen können. Die Abschiedsszene zwischen Vera
(Ulrike Gradl) und Adolf Eichmann will ein wenig zu aufdringlich zur Identifikation mit dem
„Helden“ einladen, was schon insofern im Grunde überflüssig ist, als er bereits zuvor oft
genug „allzu menschlich“ wirkte. Auch die letzten Szenen bis hin zum Tod durch den Strang
fügen der Aussage nichts Wesentliches hinzu. Sie wirken dadurch ein wenig ermüdend, was
schade ist.


Denn unterm Strich ist diese durchdachte und spürbar gut vorbereitete Aufführung eine feine
Sache — ein leises und intensives Kammerspiel, das ganz ohne Theaterdonner, effektvolle
Blutbäder oder schreiende Schauspieler auskommt, dafür auf die Wirkung des Wortes, kleiner
Gesten und bedachter Pausen setzt. Gerade für die nachdenklicheren Zeitgenossen ist „Bruder
Eichmann“ zum Besuch daher unbedingt zu empfehlen!

 

(Nürnberger Zeitung vom 21.11.2005 / Gerd Fürstenberger)

 

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